Am Mittwoch, 18.11.2020 wurde in Berlin, binnen eines Tages, in Windeseile das neue Infektionsschutzgesetz durch Bundestag und Bundesrat gewunken, sowie vom Bundespräsidenten unterzeichnet. Dieses Gesetz beschneidet die Grundrechte der Bürger massiv, so enthebelt es unter anderem die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Versammlungsfreiheit, die Grundrechte der Freiheit der Person, sowie die körperliche Unversehrtheit.
Dagegen zu protestieren, fanden sich ab Mittwoch Morgen, Schätzungen zufolge, ca. 20.000 Menschen am Brandenburger Tor und in direkter Nähe zum Reichstag ein. Trotz Schikanen und Polizeiblockaden auf dem Weg zum Gelände, die dafür sorgten, dass es etlichen Menschen verwehrt wurde es bis zum Protest zu schaffen, war dies also für einen Arbeitstag unter der Woche eine stattliche Anzahl derer, die es sich nicht nehmen lassen wollten ihrem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen.
Auch ich habe mich auf den weiten Weg nach Berlin gemacht und möchte hier nun meine Eindrücke und Erlebnisse schildern:
Gegen 9 Uhr an der Siegessäule angekommen, machte ich mich auf den Weg über die Straße des 17. Juni in Richtung Brandenburger Tor. Nicht weit gekommen, musste ich an einer Polizeiblockade Halt machen, an der zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise 200 Personen der Durchgang verwehrt wurde. Nach längerem Aufenthalt dort, mit einigen Spannungen und Rangeleien zwischen Polizei und Demonstranten, wuchs die Menge durch nachkommende Teilnehmer recht schnell zu einer mehrere hundert Menschen umfassenden Menge an, die dann doch durch den Park ungehindert zum Brandenburger Tor spazieren durfte/konnte. Am Ort der Proteste angekommen verschaffte ich mir einen Überblick über die noch relativ überschaubare Menge, begrüßte einige Bekannte und suchte mir einen Platz in Richtung Reichstag, an dem ich mich aufhielt. Die Zahl der Menschen wuchs nun rasch an, sodass sich ein optimistisches Gefühl einstellte. Es war ähnlich wie auf vorangegangenen Demonstrationen eine bunte Mischung an Menschen, ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Einige Regenbogenfahnen, wenige Reichsfahnen, mehrere Deutschland- und Friedensfahnen, sowie wieder viele kreative Schilder und Plakate zum Thema. Hier und da sangen die Menschen, einige spielten Instrumente, überall zeigten die Leute auf ihre Art ihren Protest. Es wurde, besonders je näher man Richtung Reichstag ging, Lärm gemacht. Trillerpfeifen, Topf und Kochlöffel, Trommeln, Tröten, alles was Krach machte war dabei. Es wurden Sprüche über Friede und Freiheit skandiert und die Nationalhymne gesungen.
Plötzlich fuhren, ohne dass es erkennbare Aggressionen gab, zwei Wasserwerfer vor und die Polizei stellte sich in Kampfbereitschaft vor den Menschen auf. Die Verwunderung bei mir war groß, war doch nichts geschehen, was dieses Vorgehen rechtfertigte. Es zeigte aber welche Stunde geschlagen hat und wie die Staatsmacht an diesem Tage mit den friedlichen Protesten der Bürger umzugehen gedachte. Nach einigen Durchsagen seitens der Polizei, die aber im Pfeifkonzert der Menschen untergingen, spitzte sich die Gefühlslage zu und man wusste, dass es nur eine Frage der Zeit wäre bis Wasserwerfer und körperliche Gewalt seitens der Polizei eingesetzt werden sollten.
In den Reihen der Protestler begann sich nun etwas zu tun, das ich mit wirklicher Solidarität und Vernunft umschreiben möchte. Es wurde sich sortiert und organisiert. Frauen, Kindern und älteren Menschen wurde nahegelegt sich weiter nach hinten zu begeben, während die Männer ihren Mut bewiesen und sich als Puffer in den vordersten Reihen positionierten. Dennoch nahmen auch einige Ältere und Frauen, die es sich nicht nehmen lassen wollten sich aktiv gegen das Unrecht zu stellen, noch einen Teil der vorderen Plätze ein.
Nun wurde die Lage immer angespannter. Ich selbst reihte mich in der ersten Reihe ein. Neben und hinter mir entschlossene Gesichter und Arme die sich ineinander einhakten. Alle voller Konzentration darauf, was gleich kommen wird und bereit im Streben für unser aller Freiheit nicht freiwillig zurückzuweichen. Dann war es soweit. Die Wasserwerfer begannen die Menge zu duschen und die Polizisten gingen auf die Demonstranten los. Die Leute wurden wild über den Asphalt geschubst und geworfen, die Polizei trat nach den Menschen, Reizgas wurde eingesetzt und es wurden willkürlich Personen in Polizeitrauben geholt und grob behandelt. Dabei wurde seitens der Polizei kein Unterschied gemacht zwischen jung und alt, Mann und Frau. Wir ließen uns jedoch nicht zurück drängen. Wo einer ausgefallen war, kam der nächste vor und schloss die Lücke. Alles gewaltfrei, einzig und allein das Zurückweichen verwehrten wir. Ging es doch an diesem Tag um so viel. Um unsere Freiheit…
Immer wieder sah man im Durcheinander der Rangeleien lädierte und vom Reizgas getroffene Personen, die dann oftmals von einem der vielen hilfsbereiten „Engel“ (vorrangig Frauen) zügig mit Wasser oder Augentropfen „behandelt“ wurden. Auch ich selbst wurde, sofort nachdem ich vom Reizgas getroffen wurde, von einem Herrn mit Augentropfen versorgt. Nachdem ich mich noch lange Zeit mit der Menge vorne eingesetzt hatte begab ich mich, von oben bis unten durchnässt, Richtung Park um auszutreten. Dabei durch die Menge schreitend wurden mir einige wundervolle Augenblicke beschert, die Mut machen und die stolz machen Teil dieses Ganzen gewesen sein zu dürfen. Etliche „fremde“ Menschen haben mich aufgrund meines vom Reizgas gezeichneten Gesichts angesprochen, ob ich Wasser oder sonstiges brauche. Viele bedankten sich für unseren Einsatz, den wir in vorderster Reihe taten. Ich selbst war so begeistert darüber, dass die mittleren und hinteren Reihen, Männer und Frauen, viele ältere Menschen und junge Mädels, standhaft blieben und trotz der „Eskalation“ geblieben waren und nicht im Traum daran dachten, das Feld zu räumen, dass ich vielen klatschend meine Bewunderung und Dankbarkeit vermittelte, die mir daraufhin dankten, indem sie mir beispielsweise ein „Daumen hoch“ zeigten. Diese Momente waren von ganz besonderer Art, denn hier war heute mindestens für diesen einen Tag etwas zusammen gewachsen. Und wir wussten das und teilten es uns mit, in diesen kurzen Augenblicken, in denen wir uns blind verstanden, wo wir uns doch im Grunde persönlich fremd waren…
Weiter auf meinem Weg traf ich auf zwei junge Mädchen, die lauthals „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ forderten. Ich unterhielt mich mit ihnen und war begeistert von der Klarheit ihres Geistes, wie sie die Welt sahen und welch Sinn für Freiheit und Gerechtigkeit in diesen Mädels steckte. Sie gehörten zweifelsohne zu der Sorte junger Menschen, die für mich die Hoffnung symbolisieren, weil sie der Beweis sind, dass da noch etwas in unserer jungen Generation schlummert, das entgegen aller staatlicher Umerziehung und Manipulation das Gute und Wahre verkörpert. Und sie waren und sind bereit dafür einzustehen…
Im Park traf ich auf eine Gruppe mit denen ich, nachdem sie mich auf mein vom Reizgas gerötetes Gesicht ansprachen, länger ins Gespräch kam. Ich bekam von ihnen einen heißen Tee um mich, durchnässt wie ich war, aufzuwärmen. Man lud mich, den sie zuvor nie gesehen haben, zum Übernachten samt warmer Dusche ein, was ich später auch in Anspruch nahm. Sie nannten mich einen Held weil ich einer von denen war, die da vorne in erster Reihe standen. Doch waren sie doch mindestens die gleichen Helden, mit ihrer Herzlichkeit und ihrem Vertrauen!
In der Zwischenzeit hatten sich die Wasserwerfer und die Polizisten auf der Straße nach mehreren Stunden, nun mit Verstärkung von weiteren Wasserwerfern, auch von der anderen Seite kommend, dann langsam ihren Weg gebahnt und die Menge teilte sich in mehrere Richtungen und Grüppchen. Es wurde langsam unübersichtlicher, da sich viele Menschen nun im Park aufhielten und die Dunkelheit ihr weiteres dazu gab. Viele begaben sich nun auch auf den „verdienten“ Heimweg. Nach weiteren Scharmützeln, Polizeieinkesselungen und Rangeleien machte sich ein großer Teil der Leute auf den Weg zum Schloss Bellevue, wo der Bundespräsident das mittlerweile beschlossene Gesetz unterschreiben würde. In der Dunkelheit versammelte sich eine große Menge mit leuchtenden Kerzen, und immer wieder unsere Nationalhymne singend, auf der Wiese gegenüber des Schlosses. Auch hier prägten sich mir zwei Begegnungen mit weiblichen Mitstreiterinnen besonders ein.
Die Polizei hatte sich wieder in Kampfbereitschaft aufgestellt um den Platz zu räumen und begann damit, einzelne Personen aus der Menge zu greifen und abzuführen, sowie sich nach vorne zu bewegen. Trotz Strafandrohungen verharrten viele, teils sitzend, teils stehend, immer wieder friedlich unsere Hymne von Einigkeit und Recht und Freiheit singend und leisteten friedlichen, gewaltfreien Widerstand. Nie werde ich die Augen einer tapferen Frau neben mir vergessen, die mit Blick auf die Situation Bestürzung, jedoch zugleich auch die Entschlossenheit, vor dem Unrecht des heutigen Tages nicht einfach zurückzuweichen, ausdrückten.
Ein weiteres Mädel, welches mir wenige Augenblicke zuvor schon auffiel als sie auf dem Boden sitzend die Nationalhymne mit besonderer Hingabe aus allertiefstem Herzen sang, stand plötzlich direkt neben mir als die Polizei gegen die friedlichen Menschen vordrang und fragte die Polizisten mit Tränen in den Augen, ob diese keine Kinder hätten, die sie vor dieser Diktatur beschützen müssten. Ich war gerührt, holte mir ein Ferrero Küsschen (die ich an diesem Tag an einige nette Leute verteilte) aus meiner Tasche und drückte es dem tapferen Mädel in die Hand. Sie hatte natürlich in diesem Gewühl nicht mit so etwas gerechnet. Aber ihr überraschter Blick und ihr einfaches Danke waren etwas ganz Besonderes im Durcheinander dieses Tages, der dann mit der endgültigen Räumung der Fläche gegen 19 Uhr langsam sein Ende fand.
Fazit:
Grundsätzlich war der Mittwoch, aufgrund der Verabschiedung des Gesetzes, ein trauriger Tag für die Deutschen. Die Polizei ging geschlossen gegen friedliche Bürger vor, während wenige hundert Meter weiter die Diktatur quasi per Gesetz beschlossen wurde. Jeder einzelne Polizist hätte zum Helden werden können, indem er sich diesem Irrsinn verweigert hätte. Leider hat nicht einer nachgedacht und sich ein Herz gefasst. Sie werden neue Gelegenheiten dazu bekommen, sich zu entscheiden, ob sie sich für oder gegen den Bürger einsetzen wollen, denn die Zeiten werden zukünftig nicht ruhiger werden…
Man darf aber stolz auf die Menschen sein, die an diesem Tag in Berlin dabei waren. Jeder war an diesem Tag ein Held und hat zu einem Lichtblick in düsteren Zeiten beigetragen. Die groben Jungs in erster Reihe, die vielen Engel die sich so zügig um Verletzte kümmerten und diese versorgten, die Teilnehmer in den hinteren Reihen, weil sie sich nicht beugten, sondern blieben…
Mich persönlich motiviert dieser Tag weiterzumachen. Er verstärkt dieses Gefühl, diesen Stolz, das Richtige zu tun. Die Überzeugung, zivilen Ungehorsam leisten zu müssen, ist gewachsen, was auch immer sie sich noch einfallen lassen werden und wie hoch auch ihre Strafen sein werden. Sie wurde bestärkt durch die Kraft der Menschen, die in Berlin Widerstand leisteten und die sich nicht mehr spalten lassen wollen, weil sie wissen, dass wir, wie groß auch die Unterschiede politischer oder weltanschaulicher Sichten sein mögen, dieses Unrecht nur gemeinsam aus der Welt schaffen können!
Mögen uns die vielen blind folgenden Zeitgenossen oft auch pessimistisch stimmen, so zeigen oben genannte Beispiele doch auch die Schönheit, die Stärke, die Kraft, die noch in den Menschen und in unserem Volke steckt.
Ich habe gesehen, wofür es sich lohnt diesen Weg zu gehen, unter anderem für die tapferen Herzen und die leuchtenden Augen dieser eben erwähnten starken, jungen Frauen.
Wenn ihre Augen heute auf diese Weise leuchten, wie vermögen sie erst in Freiheit zu strahlen? Dies zu erfahren, dem will ich meine Kräfte widmen…
Solang mein Herz noch schlägt…